September 23, 2017Keine Kommentare

Leica – Der Leitz Park in Wetzlar ist ein Ort der Moderne

Das 21. Jahrhundert, soviel kann man schon im ersten Viertel dieses Zeitabschnitts sagen, wird geprägt werden von widerstrebenden Entwicklungen. Während die sich in einer rasanten Entwicklung vorantreibende und raumgreifende Digitalisierung alles zu beherrschen scheint und unser Leben voraussichtlich noch ziemlich durcheinander wirbeln wird, gibt es eine beharrliche und stärker werdende Gegenbewegung, die auf dem analogen, dem mit Händen Greifbaren, beharrt. Um das zu verstehen, helfen die üblichen Schlagworte von Konservativismus, Rückständigkeit etc. überhaupt nicht weiter.

Die Ursachen liegen, so glaube ich zumindest, in einer Grunddisposition des Menschen. Die widersprüchlichen Orientierungen lassen sich oft an einzelnen konkreten Personen zeigen. Das auszubauen, wäre ein anderes Thema. Man kann es aber auch an Orten, Phänomenen , Firmen festmachen. Und weil das so ist, hat mich interessiert, was da gerade mit einer kleinen deutschen Firma passiert, die schon einmal fast pleite war – Leica. Eine Firma, deren Anachronismus bei der Schwemme an digitalen Fotos, die das Netz überfluten, schon ein wenig nach dem berühmten gallischen Dorf klingt, das mit Hilfe eines Zaubertranks Widerstands leistet. So sieht es auf den ersten Blick aus. Auf den zweiten Blick ist alles ganz anders.

Der Leitz Park von Leica in Wetzlar

Sitzt man im Café Leitz und schaut nach Draußen, fühlt man sich ein wenig wie in einer Raumstation auf einem der Außenposten der Menschheit irgendwo im Nirgendwo. Nur, dass dieses Nirgendwo in der Mitte Deutschlands liegt, umgeben von Wäldern und dem Fachwerkstädtchen Wetzlar, wo man eher Spuren der Brüder Grimm, als die Moderne erwartet.

Das Frankfurter Architekturbüro Gruber + Kleine-Kraneburg hat hier im Auftrag der Leica Geschäftsführung ein Gewerbegebiet in die Landschaft gesetzt, das so ganz anders ist als übliche Gewerbegebiete. Minimalistisch, weiß und geschwungen, wirkt es fast wie ein Kloster der Moderne. Die Ikonen der Architektur des 20. Jahrhunderts kommen einem in den Sinn. Das ist sicher beabsichtigt, ist doch die Firma, die das Ganze trägt, verbunden mit der Demokratisierung der Fotografie. Berühmte Fotografen haben mit einer Leica fotografiert. Einige Foto- Ikonen werden denn auch in der Dauerausstellung gezeigt. Man wird sich bewusst, welche Bedeutung diese Firma in der Fotogeschichte hatte. Der Hauptzweck des Gebäudes ist aber keineswegs ein musealer. Hier wird produziert und verkauft.

Klosterhafte Stille

Trotzdem, wenn ich mich an den Besuch dort erinnere, kommt es mir im Nachhinein wie ein Klosterbesuch vor. Dieser Eindruck entsteht vor allem durch die Arbeitsräume, in die man aus einem Halbdunkel heraus sehen kann. Fast geräuschlos arbeiten eine Zahl von Menschen in weißen Kitteln hochkonzentriert an einem kleinen mechanischen Wunderwerk. Zwar nahe beieinander, aber doch jeder für sich mit seiner speziellen Aufgabe betraut, werden Teile aneinandergefügt. Keinerlei Hektik, die man sonst von Produktionsräumen kennt. Klosterhafte Stille. So stelle ich mir vor, dass im Mittelalter die Kopien der Bibeln und Gebetsbücher entstanden sind. Einer der Mönche malt die Initialen, einer die Blumenranken, ein anderer die Fische und der Fähigste von allen darf den Gekreuzigten auf die Buchseiten bringen.

Der Eindruck von etwas Besonderem, Magischem, wird vermittelt. Die Kameras, die hier hergestellt werden, sind teuer – sehr teuer und müssen es auch sein. Fast hat man den Eindruck, als wäre jeder Apparat, der diese Räume verlässt, eine Inkunabel und verpflichte den, der ihn dann besitzt, zu besonderer Überlegung, ehe er auf den Auslöser drückt. Keine Knipsbilder, die die Welt nicht braucht. Sorgfalt und Ruhe.

Eine Leica verkörpert die Sehnsucht nach Beständigkeit

Will man heute eine Leica erwerben, muss man warten, denn die Firma ist erfolgreich mit dem, was sie tut. Vermutlich braucht es einen langen Atem, um so ein Firmenkonzept zum Erfolg zu führen. Dass man damit erfolgreich ist, spricht von einer Sehnsucht – und hier sind wir wieder beim Sakralen – nach Bleibendem, die im Zeitalter der Digitalisierung noch größer werden wird. Sie stellt, wie man im dialektischen Denken gelernt hat, den notwendigen Gegenpol zum Mainstream dar.

So ist die Leica eine Verwandte der Schallplatte, des gut gemachten Buches, des geschreinerten Stuhles. All diese Gegenstände verweisen auf eine Haltung zur Welt, die mir als eine sehr zukunftsfähige erscheint, wo doch endlich die notwendigen Fragezeichen an ein immerwährendes Wachstum gestellt werden. Wachstum muss und wird sich nicht mehr an Quantität festmachen lassen. Dafür wird es ganz andere Maßstäbe geben.

Demzufolge ist es auch naheliegend, dass im Park, so wie es geplant ist, auch eine Hochschule, ein Hotel und ein Kommunikationszentrum entstehen. Das ist eine spannende Kombination aus materiell-kommerziellem und geistigem Ort. Wenn man dann das Firmengebäude wieder verlassen hat und draußen im Café sitzt, mitten unter interessanten Menschen, die ihre Handys benutzen, flirten, ihren Urlaub planen, glaubt man, wirklich im Hier und Heute zu sein.


© Headerbild: Leica Camera AG

Juni 23, 2017Keine Kommentare

Berlin – die Stadt

Gerade eben in dieser Funktion erwachsen geworden, versucht Berlin wie ein junger Bär- tapsend- seine Rolle unter den europäischen Hauptstädten zu finden.
Nicht so reich wie London - wohl eher das Gegenteil.
Nicht so kultiviert wie Paris - wir sind in Deutschland!
Nicht so historisch wie Rom - woher auch (außerdem haben die Jungs mit den schmalen Oberlippenbärten in Sachen Zerstörung ganze Arbeit geleistet).
Nicht so viel Schmäh wie Wien - lediglich in Sachen Niedertracht macht Berlin den Österreichern inzwischen einige Konkurrenz.

Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen, aber Berlin ist trotzdem einer der Hotspots auf der ganzen Welt. Dem  Geheimnis, warum das so ist,  wollte ich bei meinem letzten kurzen Aufenthalt ein wenig nachspüren.

Die hippen Stellen - Mitte, Prenzelberg, Hackesche Höfe, Bikini (grade erst neu aufgestiegen) verraten nur wenig davon. Touristenscharen aller Orten mit gezückten Handys und Fotoapparaten - den modernen Dementoren, die die Seele des Fotografierten aussaugen. Zurück bleiben leere Hüllen der Beliebigkeit.

Der betörende Geruch der Berliner U Bahn, der einen schon in seinen Bann zieht, kaum dass man sich in einen der Höllenschlunde begibt,  legt eine erste Spur. Mit dieser U Bahn gelangt man in die Stadtviertel, deren Unterschiedlichkeit einen Teil des Charmes der Stadt ausmacht. Hier kann man finden, was man nie zu suchen wagte. Man kann die ganze Welt entdecken - zumindest große Teile davon. Das Spektrum ist fast unüberschaubar. Da ist die bürgerliche Behäbigkeit des alten Westberlin in den gediegenen Restaurants zwischen Savigny- und Steinplatz,  der gestrandete und halb entwurzelte Orient in Kreuzberg, der sich gegen den Westen auflehnt, ihn anspuckt und doch eigentlich nur akzeptiert werden möchte. So ist das nun mal  mit ungeliebten Kindern. Osteuropa, das sich in den Neubausiedlungen zwischen Lichtenberg und Marzahn heimisch fühlt und längst seine eigene Ordnung etabliert hat. Nicht zu vergessen die ostdeutsche Provinz, die von den Grenzen zu Brandenburg her die Stadt anknabbert, mit einer gehörigen Portion an Provinzialität. Das alles kommt einem fremd und vertraut vor und lässt die vielen Stimmen, die man auch in sich selbst trägt, klingen. Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein. Daran kann auch die aufgesetzte Schnoddrigkeit nichts ändern.

Die Einwohner haben sich längst an all das Fremde in ihren Mauern gewöhnt und tolerieren es mit keifender Zunge. Diese gut getarnte Toleranz lockt Neugierige an, von denen manche bleiben und den Kreislauf weiter treiben.

Wenn die Tage sommerlich und warm sind, wie gerade,  und man sich mehr oder weniger spärlich bekleidet auf einer der vielen Grünflächen räkeln darf, ist sogar der Berliner gut gestimmt.

Alles in Allem ein  Ort, wie es zumindest in Deutschland keinen zweiten gibt und an den man immer mal wieder zurückkehren sollte. Um noch einmal den Meister abgewandelt zu zitieren: Von Zeit zu Zeit seh´ ich den Alten (oder besser Berlin) gern.